- Finanzcoaching, Geld und Finanzen, Mentale Stärke
- Monika Müller
BDP Fachgruppe „Finanzpsychologie“ zum Thema „Future Self“
Was genau unterscheidet die Gegenwart von der Zukunft? Was ist das Future Self und inwiefern beeinflusst es unsere (Finanz-)Entscheidungen?
Unsere (Finanz-)Entscheidungen sind geprägt von unseren Bedürfnissen in der Gegenwart, unseren Erfahrungen in der Vergangenheit und den Konsequenzen für die Zukunft. Eine weitere wichtige Rolle bei der Entscheidungsfindung spielt unser zukünftiges Selbst (Future Self). Doch was genau unterscheidet die Gegenwart von der Zukunft? Was ist das Future Self und inwiefern beeinflusst es unsere (Finanz-)Entscheidungen?
Im Rahmen der Fachgruppe Finanzpsychologie haben wir Anfang Juli 2024 gemeinsam das spannende Thema „Future Self“ aus finanzpsychologischer Perspektive betrachtet. In Wiesbaden wurde das Thema im Laufe der zweieinhalbstündigen Veranstaltung durch einen kurzen Impulsvortrag vorgestellt. Im Laufe des Nachmittags reflektierte der rund 15-köpfige, heterogene Teilnehmerkreis aus Psychologen, Studierenden, Finanzcoaches, Finanzberatern und Finanztrainern für junge Erwachsene die Erkenntnisse aus verschiedenen Perspektiven und vertiefte diese in Gruppenarbeiten. Daraus konnten wertvolle Erkenntnisse für die Praxis gewonnen werden, die im Folgenden vorgestellt werden.
Das Verständnis von Gegenwart ist individuell
Wann endet für Sie die Gegenwart und wann beginnt für Sie die Zukunft? Eine Frage, die alle Teilnehmenden zum Nachdenken anregte. Schnell wurde klar, diese Frage beantwortet jeder anders und jeder hat ein individuelles Verständnis von Gegenwart und Zukunft. Diese individuelle Wahrnehmung darüber, wann für eine Person die Gegenwart endet und wann die Zukunft beginnt, ist jedoch über die Lebensspanne relativ stabil (Hershfield & Maglio, 2020). Es liegt daher nahe, dass diese Wahrnehmungen unsere Entscheidungsfindung - und damit auch unsere Finanzentscheidungen - beeinflussen können. Unsere Entscheidungen in der Gegenwart sind von zeitraumbezogenen Aspekten geprägt. Einerseits determinieren die Bedürfnisse der Gegenwart unsere Entscheidungsfindung, andererseits spielen auch die Erfahrungen aus der Vergangenheit und die Konsequenzen für die Zukunft eine Rolle. Glauben Menschen, dass die Gegenwart früher endet und sich diese eindeutig von der Zukunft abgrenzen lässt, treffen sie eher zukunftsorientierte Entscheidungen (Hershfield & Maglio, 2020). Bezogen auf Finanzentscheidungen bedeutet dies beispielsweise, dass Menschen, deren Wahrnehmung der Gegenwart früher endet, eher dazu neigen, Sparanlagen gegenüber kurzfristigen Kaufentscheidungen zu bevorzugen. Diese Erkenntnisse können in Coaching- oder Beratungsprozessen von bemerkenswerter Bedeutung sein, um die Ziele der Klienten besser zu verstehen und zielgerichtet darauf eingehen zu können.
Quelle: Monika Müller, FCM Finanz Coaching
Future Self – Was ist das?
Doch nicht zuletzt unser allgemeines Verständnis von Gegenwart und Zukunft ist entscheidend für unsere Entscheidungsfindung, sondern vielmehr unsere Wahrnehmung unseres gegenwärtigen und zukünftigen Ichs. Haben Sie schon einmal darüber nachgedacht, wie ähnlich Sie heute Ihrem zukünftigen Ich in 10 Jahren sind?
Diese Frage ist schwer in Worte zu fassen, weshalb Wissenschaftler zur Beantwortung dieser Frage die folgende Darstellung verwenden:
Quelle: Hershfield, 2011
Wie nah oder fern würden Sie diese beiden Kreise zeichnen? Sehen Sie sich ihrem zukünftigen Ich sehr ähnlich oder eher unähnlich? Welche Aspekte stehen für Sie bei der Betrachtung im Vordergrund, beispielsweise Ihre Gesundheit, Ihr Berufsleben oder die Entwicklung Ihrer Leidenschaften?
Die Bedeutung des Future Self für die Finanzpsychologie
Die Forschung zeigt, dass Personen mit einer hohen wahrgenommenen Ähnlichkeit zwischen ihrem gegenwärtigen Selbst und ihrem zukünftigen Selbst eine höhere Präferenz für spätere Belohnungen aufweisen. Das bedeutet, dass sie mehr Vermögenswerte aufbauen (Hershfield, 2011). Umgekehrt gilt, besteht keine wahrgenommene Verbindung zum zukünftigen Selbst oder wird dieses sogar als „Fremder“ wahrgenommen, so wird das Sparen für die Zukunft stärker diskontiert und damit gegenüber dem gegenwärtigen Konsum abgewertet (Ersner-Hershfield et al., 2009). Das bedeutet, je größer die Überlappung Ihrer gezeichneten Kreise ist, desto größer ist die Wahrscheinlichkeit einer hohen Sparbereitschaft. Sie haben eine stärkere Verbindung zu ihrem zukünftigen Selbst, identifizieren sich mit diesem, und sind daher eher bereit, für dieses etwas zu tun.
Eine schöne Geschichte, die diese Forschungsergebnisse untermauert, ergab sich während der Diskussion mit den Teilnehmenden. Eine Teilnehmerin berichtete von einer Klientin, die die Beschäftigung mit ihrer Altersvorsorge vor sich herschob. Mit dem Wissen über die Wirkung des Future Self nahm sie eine neue Perspektive ein und begegnete der Klientin folgendermaßen:
„Ausnahmsweise habe ich das nicht einfach vorbeiziehen lassen, sondern der Kollegin von ihrem zukünftigen Ich erzählt. Dabei habe ich ziemlich detailliert die reizende ältere Dame beschrieben, die sie einmal sein wird. Und die sehr dankbar ist, dass ihr früheres Ich so gut für sie gesorgt hat, dass sie in der Lage ist, ein würdiges Leben zu führen.“
Diese Vorstellung zeigte Wirkung: „Ich habe mich noch nie als reizende ältere Dame gesehen. Das ist eine sehr schöne Vorstellung.“ Wenn Sie an eine bevorstehende Entscheidung denken, stellen Sie sich vielleicht auch mal Ihr 80-jähriges Ich vor.
Welche Implikationen können Finanzpsychologen daraus ziehen?
Wenn individuelle Unterschiede im Sparverhalten von der Kontinuität des zukünftigen Selbst abhängen, kann das Sparverhalten auf verschiedene Weise positiv beeinflusst werden (Ersner-Hershfield et al., 2009):
- durch eine veränderte Wahrnehmung des zukünftigen Selbst: Das zukünftige Selbst stärker in den Fokus einer Person zu rücken und Gemeinsamkeiten mit diesem zu identifizieren, kann das Sparverhalten fördern.
- durch die Projektion des gegenwärtigen Selbst in die Zukunft: Das Aufdecken von Fähigkeiten und Persönlichkeitseigenschaften, die auch im späteren Leben zentral für eine Person sind und sich wenig verändern werden, kann die wahrgenommene Ähnlichkeit zwischen dem Future Self und dem gegenwärtigen Selbst erhöhen und damit das Sparverhalten fördern.
Somit ergeben sich aus der Betrachtung des Future Self völlig neue Ansatzpunkte für Beratungs- und Coachingprozesse bei Finanzentscheidungen, aber auch bei allen Entscheidungen darüber hinaus.
Fazit
Die Betrachtung der individuellen Wahrnehmung von Gegenwart und Zukunft sowie der Übereinstimmung des zukünftigen Selbst mit dem Future Self kann einen Mehrwert für das Verständnis unserer (Finanz-)Entscheidungen bieten. Die Projektion des gegenwärtigen Selbst in die Zukunft sowie die Veränderung der Wahrnehmung des Future Self können wertvolle Ansätze sein, um das Sparverhalten von Menschen zu fördern.
Literatur
Ersner-Hershfield, H., Wimmer, G. E., & Knutson, B. (2009). Saving for the future self: neural measures of future self-continuity predict temporal discounting.'
Hershfield H. E. (2011). Future self-continuity: how conceptions of the future self transform intertemporal choice.
Hershfield, H. E., & Maglio, S. J. (2020). When does the present end and the future begin?